Gemeinsamer Aufruf der Roten Hilfe Leipzig & des Ermittlungsausschuss Dresden zur TagX-Demonstration zum Ende des Antifa Ost Verfahrens
Das Antifa-Ost-Verfahren neigt sich dem Ende zu. Soweit so gut, denn politisch ist dort, am Hammerweg in Dresden, nur wenig zu holen. Der ganze Prozess hat in erschöpfender Weise aufgezeigt, wie zäh und mühsam der Kampf gegen die Mühlen der Justiz sein kann. Auch die absurde Länge und detailreiche Beweisaufnahme haben dazu beigetragen, das, was den Angeklagten vorgeworfen wird, zu entpolitisieren. Im Kern geht es doch gar nicht um den Tatnachweis dafür, dass die eine oder andere an der ein oder anderen Körperverletzung beteiligt war. Im Kern geht es darum, das Konstrukt der kriminellen Vereinigung auf organisierten Antifaschismus anzuwenden und damit eine politische Haltung kriminalisieren zu können.
Das Gestern, Heute und Morgen des § 129 StGB
Über lange Jahre, mindestens seit 2009, forschten die sächsischen Ermittlungsbehörden antifaschistische Gruppen und Einzelpersonen aus. Der Vorwurf war immer der gleiche: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Nie jedoch schaffte es dieser Vorwurf vor Gericht. Immer waren Einstellungen die Folge langjähriger Brüche ihres eigenen Grundrechts und Einschüchterungsversuche der Bullen. Lange Zeit galt selbst in Sachsen, dass ein Bekenntnis zu konsequentem Antifaschismus nicht vor Gericht und schon gar nicht mit einer Verurteilung endet. Der § 129 StGB war ein Schnüffelparagraf, der es der Polizei erlaubte, als Feind*innen markierte Antifaschist*innen und andere politische Gegner*innen auszuforschen.
Das Urteil im Antifa-Ost-Prozess wird dies – mit höchster Wahrscheinlichkeit – ändern. Das liegt daran, dass mit einer Gesetzesänderung von 2017 der Großteil der für konkrete Tatnachweise notwendigen Kriterien aus den §§ 129 a/b gestrichen wurde. Es braucht nicht länger einen Nachweis über die Dauer oder die Art der Zusammenarbeit einer Gruppe, um diese als Vereinigung zu werten. Auch die Unterscheidung zwischen sogenannten Bagatelldelikten und dem Gesetz nach schwerer wiegenden Taten wurde abgeschafft. Im Verfahren in Dresden dient der Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“ immer dann als Lückenfüller, wenn sonstige Beweise und Indizien nicht gefunden werden konnten. So versucht die BAW, allein mit der Erkenntnis, dass sich da Menschen kennen und über ihre politische Haltung sprechen, eine Tatbeteilligung zu begründen.
Hier kristallisiert sich das besondere Problem mit den §§ 129 a/b StGB: Es sind Gesinnungsparagraphen, die vor allem darauf abzielen, Beziehungsgeflechte auszuforschen und politische Haltung unter Strafe zu stellen. Es geht um Meinungen, Kennverhältnisse, Beziehungen. Diese werden als feindlich markiert, zu Straftaten gemacht und verfolgt. Nur so ist es überhaupt denkbar, dass Leute, denen nicht mehr als eine Beziehung zu anderen vorgeworfen wird, in das Verfahren hineingezogen werden. Vor Gericht ist dann die Rede von „psychischer Beihilfe“ als „Unterstützungstat“ für die kriminelle Vereinigung.
Diese Verurteilungen würden weitreichende Konsequenzen für uns alle, einzeln und als Bewegung, haben. Wenn es reicht, jemanden zu kennen, um verurteilt zu werden, dann kann jede*r Mitbewohner*in, jede*r Freund*in oder Mitarbeiter*in in Zukunft – statt wie bisher als Zeug*in geladen zu werden – der „psychischen Beihilfe“ beschuldigt werden. Beschuldigte würden aus Angst vor dieser Kontaktschuld isoliert, aus Angst würde nicht mehr über Repression gesprochen werden, weitere Spaltungen würden folgen. Viele Menschen würden sich entweder aus der politischen Praxis zurückziehen oder aber in die völlige Klandestinität abtauchen, mit negativen Folgen für notwendige Debatten und Kritik.
Solidarität (und Verschlüsselung) statt Angst
Dringender noch als Gestern gilt es nun, eine poitische Bewegung aufzubauen, die dem was entgegensetzt und uns auffängt. Repression darf nicht mehr individualisert werden. „Gemeint sind wir alle“ muss endlich auch praktisch werden! Knastarbeit darf nicht länger nur auf Bezugspersonen abgeladen werden; auch Unterstützer*innen brauchen Unterstützung! Statt sich nach jedem militanten Akt zu distanzieren, gilt es, den Angriff auf unsere Gesinnung ernst zu nehmen, über eigene Ängste zu sprechen, sich mit verlässlichen und fürsorglichen Menschen zu organisieren, solidarisch zu sein und endlich mal die eigenen Kontakte und Datenträger zu sichern, denn nur verschlüsselte Handys und Laptops konnten im laufenden Verfahren nicht genutzt werden, um weitere Personen hineinzuziehen.
Ein fairer Prozess
Als 2009 die militante gruppe (mg) verurteilt werden sollte, weigerte sich die Verteidigung der drei Angeklagten, ein Plädoyer zu halten. Der Prozess hatte nach allen Regeln der Kunst dargelegt, dass es vor diesem Gericht keine Gerechtigkeit für die Angeklagten geben könnte. Wozu dem Ganzen einen schönen Schein verleihen?¹
Die Kritik von damals ist die gleiche, die wir heute haben: Eine absurde Polizeipräsenz am Gericht, Einschüchterung der Verfahrensbeteiligten und des Publikums, parallel geführte Akten und Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft und die demonstrative Weigerung des Senats, all das zur Kenntnis zu nehmen. Wie schon gesagt erwarten wir ja nicht viel von den Organen dieses Staates. Ihre Aufgabe ist die Sicherung der Herrschaft von Staat und Kapital.
Doch wir verlangen von allen, die der Meinung sind, hier ginge es immer anständig demokratisch zu, die Augen aufzumachen und sich dem zu widersetzen. Verweigert euch den Heucheleien, hier würden linke Menschenfeinde verfolgt, dem Geraune über kriminelle Zusammenhänge, Gewalt und Terror. Das, was wir uns in den letzten zwei Jahren Ermittlungen und Prozess anhören mussten – ob von Teilen der Presse oder den Sprecher*innen der Polizei – ist eine massive Verschiebung nach rechts. Man kann der Meinung sein, dass Gewalt im Kampf gegen Nazis mehr Schaden als Nutzen hervorbringt oder den Zusammenhang von Militanz und Gewalt in persönlichen Beziehungen kritisieren. Das lässt sich politisch argumentieren und darüber können und sollten wir wieder diskutieren. Aber man muss sich auch ins Bewusstsein rufen: Es gibt Nazis und Faschist*innen. Wenn die ungestört machen können, was sie wollen, besteht diese Welt nur noch aus Stacheldraht, Gewalt und den Leichen ihrer Opfer. Und es gibt Menschen, die beschlossen haben, dass sie dem faschistischen Treiben nicht tatenlos zusehen oder sich darauf verlassen werden, dass irgendwer anders irgendwann schon irgendwas unternehmen wird. Auch wenn das Verfahren gezeigt hat, dass manche das nicht mitgekriegt haben: Antifa heißt mehr als Nazis jagen, Antifa heißt das Ganze hinterfragen. Gründe, sich solidarisch zu zeigen gibt es also auch dann, wenn man mit den gewählten Mitteln im Detail nicht einverstanden ist.
Darum fahren wir an Tag X nach Leipzig. Wir fahren dort hin, weil dieses Verfahren uns bedroht und verunsichert. Weil wir Zusammenhalt statt Spaltung üben und einander stärken wollen. Weil wir solidarisch sind mit den verurteilten Antifaschist*innen und es auch mit den nächsten sein werden!
Wir sagen es nochmal und in aller Klarheit: Nazi sein, heißt Probleme kriegen. Für mehr militanten Antifaschismus!
Aus Dresden wird es eine gemeinsame Zuganreise zur TagX Demonstration in Leipzig geben. Weitere Infos folgen.