Vortrag: Der betriebliche und überbetriebliche Widerstand der Nachwendezeit

Der betriebliche und überbetriebliche Widerstand der Nachwendezeit – Vortrag mit Bernd Gehrke (AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West)

Freitag | 3. November 2023 | 20 Uhr | Projekttheater Dresden

Fährt man von Leipzig aus über die A38 Richtung Göttingen, kommt man an Sangerhausen und einigen kegelförmig aufgeschichteten Bergen vorbei. Die Berge stehen unvermittelt in der Landschaft und sind die Überreste des VEB Kombinat Kali. Wie viele andere Betriebe, wurde das Kombinat in den 1990er Jahren geschlossen. Heute gehören die Kalivorkommen bei Sonderhausen einem kanadischen Konzern. In Vergessenheit geraten sind aber die Kämpfe, die die damalige Belegschaft gegen den Ausverkauf ihrer Arbeitsplätze führte und sogar in den Hungerstreik ging.

Der Berliner Historiker Bernd Gehrke wird in seinem Vortrag über die beeindruckende, aber gescheiterte und weitgehend vergessene Protestbewegung der frühen 1990er Jahren in den Betrieben und Städten Ostdeutschlands sprechen, die Massendemonstrationen, wilde Streiks, Werksbesetzungen, Hungerstreiks hervorbrachte. Er wird dabei auch über die Schock-Strategie der Privatisierung durch die Treuhandanstalt sprechen, die in der Deindustrialisierung der ehemaligen DDR mündete. Auch auf die Rolle der DGB-Gewerkschaften bei den Protesten wird er eingehen.

Der Vortrag wird etwa 45 Minuten gehen, anschließend ist eine Diskussion geplant.

Bernd Gehrke ist Ost-Berliner Arbeiterkind, hat sich in den 1970ern und 1980ern als Marxist in konspirativen Gruppen für einen freiheitlichen Sozialismus engagiert, sich mit der Arbeiterbewegung in Polen und anderen Oppositionellen in der DDR solidarisiert, weshalb er mit Parteiausschluss und Berufsverbot bestraft wurde. In der Wendezeit war er in der Initiative für eine Vereinigte Linke (VL) aktiv und engagierte sich für unabhängige Betriebsräte. In den 1990ern war er im Bündnis Kritischer GewerkschafterInnen Ost-West sowie als Unterstützer der Ostdeutschen Betriebsräte-Initiative aktiv. Er macht gewerkschaftliche und außergewerkschaftliche Bildungsarbeit; forscht und publiziert als Zeithistoriker zu den sozialen und betrieblichen Protesten in der DDR und in Ostdeutschland. U.a. hat er mit Renate Hürtgen 2001 eine ausführliche Darstellung des „betrieblichen Aufbruchs“ vom Herbst 1989 in der DDR veröffentlicht sowie 2017 eine umfangreiche Dokumentation der „Ostdeutschen Betriebsräteinitiative“ vorgelegt.