Am Freitag Morgen lief ab 10 Uhr eine weitere Putzi-Verhandlung vor dem Amtsgericht in Dresden. Diesmal war Gazelle angeklagt wegen gemeinschaftlich begangener Sachbeschädigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, der selbe Vorwurf wie bei den anderen Tieren. Gazelle wurde auf dem Gelände und nicht im Gebäude von der Polizei festgestellt.
In der Anklageschrift steht weiterhin, dass Gazelle 3 Tage das Haus besetzt haben, die Fensterscheiben im Erdgeschoss zerbrochen, sowie Zaunsäulen verbogen haben soll. Festgestellt wurde sie am 21. Januar 2020 kurz vor 17 Uhr auf dem Gelände.
Den meisten fallen hier schon einige Dinge auf: Nirgends – auch nicht in den Akten wie sich später herausstellen wird – gibt es einen Beweis dafür, dass Gazelle 3 Tage auf dem Gelände war. Die Fensterscheiben, wie in den vorherigen Prozessen schon festgestellt, sind seit Jahren zugemauert.
Gazelle verließt darauf hin ein politisches Statement und schließt sich inhaltlich an die Statements von Opossum und Koala an. Es wird ein historischer Bezug zu Besetzungen in der Neustadt, zu den immer stärker steigenden Mieten, zur Gentrifizierung und zur Verdrängung von Minderheiten berichtet. Die Besetzer*innen haben das Gelände und die Häuser in den Tagen von Müll beräumt, die Gärten gepflegt und zugänglich gemacht. Viele Nachbar*innen kamen und halfen dabei.
Nach der Verlesung merkt Richter Thomas Hassel an, dass das jetzt zwar Angaben zu Motivation waren aber nicht zum Sachverhalt und zur eigenen Schuld. Der Rechtsanwalt der Angeklagten macht deutlich das Gazelle keine weiteren Aussagen machen wird und beantragt die Beiordnung als Anwalt. Dem Antrag folgt eine ausführliche Begründung. Sowohl Richter als auch Staatsanwaltschaft sind von diesem Antrag scheinbar überfordert und auch irgendwie beleidigt. Denn anstatt über den Antrag zu entscheiden begibt sich Richter Hassel in eine lange Ausführung, dass er auf Pragmatismus und nicht auf Dogmatismus aus ist. Er möchte die Verhandlung pragmatisch behandeln und schlägt hier das erste mal eine mögliche Einstellung vor. Ein Antrag auf Beiordnung und eventuell noch viel mehr Anträge empfinde er nämlich als ein unnötiges, dogmatisches Aufblasen des Prozesses. Es ginge hier ja um „nix Goßes“, dass könnte alles schnell vorbei – und damit ja im Sinne der Angeklagten – laufen. Hassel erläutert, dass der Akte eben nicht zu entnehmen sei, ob die Angeklagte schon am 17. Januar vor Ort gewesen sei und am 21. nur beim frühstücken angetroffen wurde. Eine Einstellung wäre für ihn demnach möglich. Über die Beiordnung wird nicht entschieden.
Die Verteidigung bringt Fotos des Geländes als weitere Beweismittel ein. Auf diesen Fotos ist zu sehen, dass das Gelände über das Tor auf der Katharinenstraße frei zugänglich und keineswegs umfriedet oder eingezäunt ist. Die Verteidigung weißt darauf hin, dass als Umfriedung nur ein physisches Hindernis gilt. Staatsanwalt Wagner möchte trotzdem gern die Zeug*innenen hören – denn diese waren ja vor Ort und könnten das besser darstellen. Der Richter ist nun sichtlich in seiner Routine gestört und fragt die Staatsanwaltschaft „was sie denn jetzt mit der Angelakten machen möchte“. Ein Hausfriedensbruch ist schwierig ohne Umfriedung und für die Sachbeschädigung gibt es keine Beweise – außer die Beschuldigte legte ein Geständnis ab. Die Verteidigung macht eindeutig klar, dass sie bei dieser Beweislage einen Freispruch erwartet. Hassel deutet nun wieder die Einstellung an und betont, dass das wirtschaftlich einen Freispruch gleich kommt und die Verteidigung hier weniger Dogmatismus an den Tag legen soll. Eine Einstellung ohne Auflagen bei der das Gericht die Kosten trägt kommt einem Freispruch wirtschaftlich tatsächlich gleich – jedoch nicht politisch!
Nach einer 5 minütigen Beratungspause (welche für den Richter auch schon eine Form des Dogmatismus darstellt) stellt die Verteidigung noch einmal klar, dass sie das Angebot der Einstellung nicht annimmt und auf Freispruch plädiert. Nun ist Richter Hassel völlig „fassungslos“ und lacht verhalten über seine sichtliche Überforderung hinweg, denn „das Gericht ist es gewohnt, dass man sich einigen kann“. Die Verteidigung beantragt die Aufnahme weiterer Beweismittel (die mitgebrachten Fotos des Geländes, sowie Gesetzestexte zu Hausfriedensbrüche und Umfriedungen). Der Richter möchte, dass diese Anträge schriftlich eingereicht werden, da die Zeit knapp ist. Die Verteidigung bleibt hier hartnäckig, bringt die Anträge mündlich ein und erwähnt, dass der Gerichtssaal heute bis auf den weiteren Putziprozess frei sei. Nach einigem hin und her scheint Hassel seine Fassung wieder gewonnen zu haben und nimmt die Anträge an und schlägt vor, die beiden Zeugen noch zu hören und „dass man dann ja vielleicht dem Wunsch der Angeklagten entsprechen kann“. Ein Freispruch scheint in greifbarer Nähe.
Nun werden auch noch die beiden geladenen Polizeizeugen Uwe Lehmann und André Richter gehört. Lehmann war nur am 17. Januar für eine Stunde vor Ort und kann somit herzlich wenig beitragen. Immerhin – es wurden von Niemandem Personalien aufgenommen und auch er geht davon aus, dass die Besetzer*innen offensichtlich über das offene Tor auf der Katharinenstraße auf das Gelände gelangten. Auch an die schon zugemauerten Fenster im Erdgeschoss erinnert er sich. PM Richter war am 21. Januar auf dem Gelände und verantwortlich für die Räumung. Nach Begutachtung der Fotos vom Gelände erinnert auch er sich nun daran, dass er nicht über irgendwelche Hindernisse auf das Gelände klettern musste.
Nach den beiden Zeugen wird auch direkt die Beweisaufnahme geschlossen und die Plädoyers verlesen. Die Staatsanwaltschaft stellt fest, dass Gazelle nachweislich am 21. Januar 2020 festgestellt wurde – auf dem Gelände, vor dem Haus. Dieses ist nicht komplett umfriedet, es gab keine Aufforderungen durch die Polizei das Gelände zu verlassen – demzufolge liegt kein Hausfriedensbruch vor. Für eine Beteiligung an der Sachbeschädigung gäbe es keine Beweise, sie sei demnach Freizusprechen. Auf Grund der vorangeschrittenen Zeit hält sich die Verteidigung kurz und plädiert ebenfalls für Freispruch – welcher kurz darauf durch den Richter bestätigt wird.
Der Zweite Prozess am 28. August 2020 – Zebra
Direkt im Anschluss war für 11:00 der Prozess von Zebra angesetzt. Selber Raum, Richter und Staatsanwalt. Selbst die beiden Polizisten waren wieder als Zeugen dabei – und zusätzlich PM Strebe, welcher schon am ersten Prozesstag von Oppossum und Koala aussagte.
Staatsanwalt Wagner verließt die Anklageschrift, welche der von Gazelle gleicht. Zusätzlich wird erwähnt, dass sie nur durch unmittelbaren Zwang durch das SEK geräumt werden konnten. Der Vorwurf lautet ebenfalls gemeinschaftliche begangene Sachbeschädigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch.
Der Rechtsanwalt der Anklagten Person stellt als erstes einen Antrag auf Beiordnung. Das Gericht stellt diesen Antrag zurück. Richter Hassel kann scheinbar nicht gut mit Beiordnungen umgehen und fühlt sich in seinem Pragmatismus gebremst.
Nun werden direkt wieder die beiden Zeugen PM Lehmann und PM Richter gehört. Diese wiederholen im groben das Gesagte aus dem vorangegangenen Prozess. PM Lehmann war eben nur eine Stunde am 17. Januar vor Ort und PM Richter bringt noch die einzig – für ihn – logische Erklärung für die Zugemauerte Tür ins Spiel: Die Besetzer*innen haben die hinter sich zugemauert. Deswegen musste diese Mauer (leichte Y-Tong Steine) durch das SEK aufgerammt werden.
PM Strebe schildert ungefähr die gleiche Situation wie bei Zebra und Koala: Er war mit SEK und Felix Lukasch von der Argenta Group im Haus und hat versucht mit den Besetzer*innen zu sprechen. Diese wollten aber nur mit einem*einer Anwalt*in reden. Lukasch hat vor Ort auch den Strafantrag gegen Unbekannt gestellt. Wer genau bei der Räumung im Haus festgestellt wurde, könne nur der Staatsschutz (Vogt) oder der Einsatzleiter (PM Bote) sagen – da diese für die Festnahmen zuständig waren.
Nach der Vernehmung stellt die Verteidigung einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens wegen Verfahrenshindernissen. Der Strafantrag sei nicht korrekt gestellt worden, laufe gegen unbekannt, Tatort und Zeit seien nicht ausreichend erfasst und Felix Lukasch sei gesetzlich nicht vertretungsberechtigt für die Argenta Group.
Richter Hassel nimmt die Anträge entgegen und vertagt die Sitzung auf den 16. September 2020 um 13:00 im selben Raum (A 1.37). Für diese Sitzung will er Felix Lukasch, sowie eine Person vom Staatsschutz (voraussichtlich Vogt) und von der Dental AG (Schendekehl) als Zeug*innen laden. Was Richter Fiedler im vergangenen Prozess zu dogmatisch schien (Menschen aus München anreisen zu lassen) ist für Richter Hassel scheinbar Pragmatismus.