Am letzten Donnerstag fand eine der vier Kundgebungen anlässlich Johannes Domhövers Aussage vor dem Oberlandesgericht statt. Wir haben einen Redebeitrag zur Entwicklung des § 129 StGB in den letzten Jahren verfasst.
Hallo liebe Genoss*innen,
wir haben uns heute aus einem recht traurigen Anlass vor dem Oberlandesgericht eingefunden: der Aussage J. Domhövers gegen die Angeklagten im Antifa Ost Prozess. Wir wissen alle, dass das für die Betroffenen richtige Scheiße ist. Wir teilen eure Wut über seinen Verrat. Bevor wir aber zu unserem eigentlichen Thema kommen, wollen wir nochmal an alle appellieren, die ihn kannten, die ihn einst als Genossen schätzten und die mit ihm politisch gearbeitet haben: ihr tragt nun leider die Verantwortung sein Scheißverhalten aufzuarbeiten, sowohl seine Gewalt gegen die Genoss*innen, als auch die Umstände seines politischen Versagens. Wir können ehrlich sagen, dass wir in der Haut selbst nicht stecken wöllten, aber es ist notwendig und kann für uns alle noch ein Gewinn sein, wenn ihr ehrlich zu euch selbst seid und schaut, was da schief gelaufen ist.
So, jetzt aber zurück zu den hundselenden §§ 129 a/b StGB. Von 2001 an ermittelte die Bundesanwaltschaft 7 Jahre gegen mutmaßliche Mitglieder der »militanten gruppe«. Die BAW hatte 4 Personen im Visier, von denen sie behauptete, sie hätten sich arbeitsteilig an der mg beteiligt, Texte geschrieben, Ziele ausgekundschaftet und Anschläge begangen. Strafbar sei das nach BAW und BKA als terroristische Vereinigung, als § 129 a StGB. Dumm nur, dass es ihnen nicht gelang den vieren so richtig etwas nachzuweisen. Ein wenig Textanalyse hier, ein bisschen DNA-sammeln dort, reichten nicht aus, um eine Gruppenstruktur den Kriterien der §§ 129 a/b StGB entsprechend nachzuweisen. Darum kassierte im Jahr 2008 der Bundesgerichtshof die Ermittlungen zu weiten Teilen. Das Verfahren durfte fortan lediglich gegen eine kriminelle Vereinigung geführt werden und vor allem urteilte der BGH, dass die Beziehungen zwischen den Beschuldigten zwar durchaus konspirative Züge tragen würden. Dass sei aber nicht hinreichend, um eine Mitgliedschaft in der »militanten gruppe« zu begründen.
Nach den alten Regelungen der §§ 129 a/b musste für den Nachweis einer kriminellen Vereinigung so etwas wie eine Gruppenstruktur, ein gemeinsames Ziel und eine regelmäßige und auf Dauer angelegte Kommunikation durch die Ermittlungen zu Tage gefördert werden. Genau das, was im Antifa Ost Prozess bis heute weitgehend fehlt.
Das es in Dresden trotzdem zu diesem Mammutprozess kommen konnte, liegt an einer Gesetzesverschärfung aus dem Jahr 2017. Kurz vor dem Gipfel der 20 größten Industrienationen in Hamburg wurden zahlreiche Straftatbestände verschärft oder neu eingeführt, etwa der als „Bullen schubsen“ Paragraf bekannt gewordene § 114 StGB. Auch die §§ 129 a/b wurden 2017 verschärft. Die Bundesregierung setzte mit dieser Verschärfung einen Beschluss des Europarates um, der darauf abzielte die Verfolgung krimineller Vereinigungen zu vereinheitlichen. Aus dem Beschluss des Rates geht eine Konzentration auf Gruppen der organisierten Kriminalität hervor, die sich in der deutschen Umsetzung nicht widerspiegelt. In der BRD bleiben die §§ 129 a/b StGB ein zentraler Bestandteil der politischen Justiz.
In den § 129 wurde ein Passus eingefügt, welcher bisherige Merkmale krimineller Vereinigungen außer Kraft setzt. Vereinigungen waren bisher durch vier Merkmale gekennzeichnet. Sie war ein auf Dauer angelegter (1) personeller Zusammenschluss (2), dessen Zielstellung sich der*die Einzelne unterordnete und so ein gemeinsames Verständnis als Gruppe (3) mit einem Mindestmaß an gemeinsamer Organisation (4), bspw verbindlichen Regeln über die Willensbildung bestand. Die Punkte (3) und (4) wurden durch die Neufassung gestrichen. Sie lautet:
»Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.«
Diese Neudefinition des Begriffs „Vereinigung“ wurde ebenso auf den § 129 a StGN angewendet.
Außerdem wurde im § 129 ein Passus eingefügt, der die Taten neu regelt, deren Planung das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung begründet. Bisher und auch in der Entscheidung des Europarates sollen Bagatelldelikte und ihre planmäßige Ausführung in Gruppen kein Anlass für Ermittlungen nach dem § 129 StGB bilden. Der „neue“ § 129 darf nun jedoch angewendet werden, wenn Straftaten geplant oder ausgeführt wurden, »die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind«. Im Gegensatz zur Definition der terroristischen Vereinigung im § 129 a gibt es für die kleine kriminelle Schwester keinerlei Straftatenkatalog, im Gegenteil ist der §1 29 fortan universell einsetzbar.
Letztlich bedeutet diese Veränderung des Strafgesetzbuches, dass alleine die Idee einer Gruppe zur Begehung eines Bagatelldelikts, etwa einer Sachbeschädigung mit bis fünf oder mehr Jahren Freiheitsentzug bestraft werden kann.
Ein Blick in das Strafgesetzbuch zeigt nämlich, dass unter den Tatbeständen, die mit mindestens 2 Jahren Freiheitsentzug bedroht sind, also auch Ermittlungen nach § 129 StGB begründen können, so einiges zu finden ist. Für linke Politik relevant wären da etwa die §§ 238 Nachstellung, 240 Nötigung, 241 Bedrohung, 241a Politische Verdächtigung.
Mit Nötigung versuchen die Bullen beispielsweise oft die Beteiligung an Blockaden gegen FundamentalistInnen, Nazis und andere Arschgeigen zu kriminalisieren. Das war im Februar 2010 und 2011 in Dresden der Fall und auch 2020 und 2021 wurden gegen gut 100 Menschen Gerichtsverfahren angestrengt, die den fundamentalistischen Schweigemarsch in Berlin blockiert hatten. Wie ist das denn nun liebe Bundesanwaltschaft, namentlich Frau Geilhorn, sind auch diese Menschen alle Teil einer ganz bösen Verschwörung gegen Recht, Ordnung und Gesetz?
Die Verschärfung der §§ 129 a/b StGB aus dem Jahr 2017 ist eine Farce. Der Staat hat sich hier einen Gummiparagrafen zu Recht gelegt, der unterm Strich gegen jede politische und unliebsame Arbeit angewendet werden kann. Ziel der ganzen Nummer, ist es jeden politischen Widerstand gegen Nazis und Rassismus, gegen Staat, Nation und Kapital zu zerschlagen. Widerspruch darf nur formuliert werden, wenn er systemkonform daher kommt. Er muss gar nicht militant oder besonders radikal sein, solange er sich weigert zu akzeptieren, dass die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, die einzig richtige sein soll, hat er mit Repression zu rechnen. Das stellen die §§ 129 a/b sicher.
Sei’s drum. Wir sind alle 129! Für mehr militanten Antifaschismus!
Euer ermittlungsausschuss dresden!