Was ist der Rote Aufbruch und wie tritt er auf?
Die Gruppe „Roter Aufbruch“ trat am 24. April 2023 auf der Plattform Instagram das erste Mal öffentlich auf. Relativ schnell zeigte die Gruppe durch Inhalt und Form zu welchem Spektrum sie gehört. Ihr zweiter Post auf Instagram anlässlich des 1. Mai trägt den Titel „Kein Krieg zwischen den Völkern, kein Frieden zwischen den Klassen!“² In dem Aufruf finden sich typische Phrasen wie „All das zeigt, was die Reichen und Mächtigen mit uns vorhaben“. Diese Fomulierung in Kontext von Kritik an Sozialdemokratie und Staat zeigen eine verkürtzte Herrschafts- und Kapitalismuskritik in Form eines instrumentellen Staatsverständnisses. Der Staat wird als rein repressives Instrument der herrschenden Klasse begriffen. Er diene einzig der Durchsetzung der Interessen der herrschenden Klasse. Diese Fehlanalyse bildet sich aus der Weltanschaung des Marxismus-Leninismus (ML).³
Ebenfalls zeigt sich an diesem Post eine Verbindung zu anderen autoritär-kommunistischen Gruppen wie „Kämpfende Jugend Bremen“, welche auch klar den Inhalt und die Weltanschaung des ML und in Teilen die des Maoismus vertreten. Dies spiegelt sich in ihrem Selbstverständnis unter anderem bei Ausagen wie „Um den Klassenkampf zu organisieren und erfolgreich durchzuführen, brauchen wie eine Partei neuen Typs nach Lenin.“ wieder.⁴ Auch im weiteren Auftreten des Roten Aufbruch, sowohl inhaltlich als auch aktionär, zeigen sich Verbindungen in andere Städte: Zum Beispiel durch das gemeinsame Teilen von Textbeiträgen und Aufrufen zu gemeinsamen wie auch den gleichen themenbezogenen Aktionen. Weiterhin zeigt sich an ihren veröffentlichten Inhalten eine klare und ideologisch gefestigte autoritär-kommunistische Grundpostion und Weltanschauung.
Inhalte und Weltanschauung
Der Marxismus-Leninismus begreift die menschliche Geschichte als einen linearen Ablauf, dessen Entwicklung von bestimmten Gesetzen abhängig ist. Jede Stufe der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft berge in sich die Entwicklung der nächsten Stufe und schaffe sich letztlich von alleine ab. Die Feudalherrschaft stieß an ihre eigenen Grenzen, weil die Eigentumsverhältnisse nicht mehr mit der Entwicklung der Wirtschaft in Einklang standen. Darum gab es die bürgerlichen Revolutionen. Der danach entstandene Kapitalismus durchläuft mehrere Entwicklungsstadien und führt so zwangsläufig erneut in eine diesmal sozialistische Revolution usw. usf. besagen es die Schemata des ML.
Wer die Geschichte der Menschheit so begreift, kann für sich behaupten, auf der „richtigen Seite“ der Geschichte zu stehen und im Einklang mit ihren Gesetzen zu handeln. Das reduziert die Bereitschaft für Reflexion und Selbstkritik, sollten sich die erwarteten Prognosen nicht erfüllen. Daraus resultiert, dass das Ausbleiben von Revolution oder das Aufkommen von autoritären Bestrebungen, schwer anders zu verstehen sind, als durch Manipulation der Massen und Verschwörung. Jede Kritik am Vorgehen der Partei wird im Vorhinein als konterrevolutionär gebrandmarkt, da diese so von der sogenannten „Linie“ abweicht.
Ein gutes Beispiel für diese Sichtweise sind die Erklärungsversuche des ML für den historischen Faschismus. Mit der „Dimitroff-These“ wurde der Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ begriffen. Damit geriet aber gerade die Verstrickung der Arbeiter*innenklasse in den Aufstieg des Faschismus in vielen Ländern aus dem Blick.
Die Auffassung, der Staat sei nur ein Instrument der herrschenden Klasse, resultiert aus der Basis-Überbau-These. Sie besagt, dass die ökonomische Basis (Wirtschafts- und Eigentumsordnung) den politischen Überbau (Staat, Recht, Ideologie) bedinge. Zwar ist es beispielsweise zutreffend, dass die kapitalistische Produktionsweise einen regelrechten Eigentumskult hervorbringt, der sich in den Handlungen des Staates niederschlägt, das Rechtssystem und die Auffassungen der Menschen prägt.Trotzdem lässt sich all das nicht auf eine einseitige Entwicklung reduzieren. Letztlich wird der Staat auf seine ökonomische Funktion reduziert: die Durchsetzung einer Wirtschaftsordnung. In dieser Funktion ist er dann, dem ML zufolge, nur Interessenvertreter und Repressionsorgan der herrschenden Klasse. So verkommt die „wissenschaftliche Methode“ des ML zu einem statischen und linearen Ideologiesystem.
Diese Verkürzungen komplexer gesellschaftlicher Zusammenhänge im Geschichtsdeterminismus und der Staatsauffassung kommen nicht von ungefähr. Sie nützen vor allem den Kader*innen der marxistisch-leninistischen Gruppen und Parteien. Sie stehen auf der richtigen Seite der Geschichte und kämpfen gegen das Böse in Form der herrschenden kapitalistischen Klasse. Diese kontrolliert den Staat und ist deshalb in der Lage die Massen zu kontrollieren. Da ist es doch nur logisch, dass eine Avantgarde mit revolutionärem Bewusstsein den Staat übernimmt, die Kapitalist*innen unterdrückt und den Sozialismus einführt. Alles auf Basis „wissenschaftlicher Erkenntnisse“, die einen Fehlschuss unmöglich machen.
Antiimperialismus und Antisemitismus
Die Gruppe Roter Aufbruch positionierte sich eindeutig zum Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem damit einhergehenden Pogrom. In ihrem Text bennenen sie es als „al-aqsa-Flut der palestinensischen Kräfte“ und übernehmen damit das Wording der Hamas. Sie thematisieren in ihrem Text den anschließenden Krieg Israels, verlieren allerdings kein kritisches Wort zur Hamas oder dem seit der NS-Zeit größten antisemitischen Pogrom. Stattdessen solidarisieren sie sich mit dem Angriff der Hamas als „Akt“ gegen die israelischen Siedlungen wie auch gegen den israelischen Staat mit den Worten: „Wir stehen an der Seite des palästinensischen Volkes, das gegen die israelischen Siedlerkolonialisten kämpft.“ Auch solidarisierten sie sich in mehreren Instagram-Stories mit der Hamas und der PFLP-nahen Organistation Samidoun die unter anderem aufgrund ihres antisemitischen Auftretens seit dem 11. Oktober nicht mehr von der Roten Hilfe bundesweit unterstützt wird.
Die klassische antiimperialistische Weltanschaung besteht aus einem strengen schwarz-weiß Denken. Es gibt in ihr imperialistische Staaten und unterdrückte Völker oder je nach Anlass Klassen. Seit Ende der 60er Jahre ist der Antiimperialismus fast ausschließlich gegen die vermeintlich einzige Weltmacht USA gerichtet. Die USA und ihre „imperialistischen“ Partnerstaaten werden nicht als Akteur*innen und ausführende Kräfte des Kapitalismus angesehen, sondern mit ihm gleichgesetzt und für die global-soziale Katastrophe verantwortlich gemacht. Als vermeintlich progressiver Akt wird sich mit allen „unterdrückten Völkern“ solidarisiert. Die Nation und die daraus abstrahierte Volksgemeinschaft wird zur Befreiungsgemeinschaft stilisiert. Politische und religiöse Konflikte werden ignoriert oder klein geredet. Auseinandersetzungen um Frauenbefreiung oder Rassismus werden auf einen späteren Zeitpunkt, nach dem Ende des nationalen Befreiungskampfes, verlagert.
Um den Widerspruch sozialer Ungleicheit innerhalb der Nation aufzuheben, findet eine Ethnisierung der sozialen Klasse statt: die Palestinenser*innen, die Kambodschaner*innen, die _hier ein nationales Kollektiv einsetzen_ haben alle das Interesse einen eigenen Staat zu gründen. Der Kampf um nationale Selbstbestimmung, sowie die vermeintlich alles-kontrollierende USA und ihr Imperium begründen die antiimperialistische Solidarität mit allen „widerständigen Bewegungen“ egal wie regressiv sie auch sein mögen.⁵
Fazit und Konsequenzen für uns
Als Teil einer emanzipatorischen und antiautoritären radikalen Linken lehnen wir die hier aufgezeigten Kernelemente autoritär-kommunistischer Strömungen, wie einen Geschichtsdeterminimus, eine instrumentelle Staatsaufassung, Avantgardekonzepte wie auch die Legitimation von völkischen Ideologien und Antisemitismus enschieden ab!⁶
Das derzeitige Erstarken solcher Gruppen und Ideologien kommt sicherlich auch von der Handlungsohnmacht und Perspektivlosigkeit autonomer und antiautoritärer Theorie und Praxis. Dem müssen wir uns stellen. Das heißt aber nicht, dass wir zurückkehren zu den gestrigen Ideen des Marxismus-Leninismus und Stalinismus.
Wir werden nicht mit dem Roten Aufbruch zusammenarbeiten. Als Ermittlungsausschuss Dresden möchten wir an dieser Stelle ergänzen, dass wir zwischen einer Zusammenarbeit und der Unterstützung von Einzelpersonen in Repressionsfällen unterscheiden und letzteres durchaus möglich ist.
Unterzeichner*innen: Antifa Kollektiv, Schwarze Katze, Antifascista, Antifaschistische Initiative Löbtau WUMS (Veranstaltungs- und Plenumsort), Pirnaer Autonome Linke, Ermittlungsausschuss, Referat Politische Bildung, Rotes Dresden, Buchladen König Kurt, Kosmotique
¹ Text zum Auftreten autoritärer Gruppen in Leipzig: https://knack.news/2276.
² https://www.instagram.com/accounts/login/?next=https%3A%2F %2Fwww.instagram.com%2Froteraufbruch.dd%2F (@roteraufbruch.dd)
³ Gute weiterführende Artikel zu einer Kritik des leninistischen Staatsverständnis: Hendrik Wallat: „Staat oder Revolution – Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik“.
⁴ Die Kämpfende Jugend aus Bremen geht sogar soweit auch Stalin als Stichwortgeber aus der Mottenkiste zu ziehen. Wer sich den Unsinn reinziehen mag: https://kaempfendejugend.noblogs.org/files/2023/08/KJ-Thesen-uber-den-demokratischen-Zentralismus.pdf.
⁵ Eine spannende Diskussion des Antiimperialismus der westeuropäischen Linken findet ihr unter „Allein schon Konsens: Über die linke Geschichte“ https://www.youtube.com/watch?v=Vmno7DuTzwE.
⁶ Wer zum Thema weiterlesen mag, schaut euch doch mal den großartigen Sammelband „Was tun mit Kommunismus?“ an. https://unrast-verlag.de/produkt/was-tun-mit-kommunismus/