Taschenmesser, Protektoren, Vermummungsgegenstände, etc.

Oft tragen Demoteilnehmer_innen (ob absichtlich oder aus Versehen) Dinge bei sich, die Probleme bereiten können, da sie seitens der Cops oder der Staatsanwaltschaft als „gefährliche Gegenstände“ oder als „Schutzbewaffnung“ gewertet werden können oder gar unter das Waffengesetz fallen:

klassische Beispiele für Waffen gem. Waffengesetz:

  • Pfefferspray ohne Kennzeichnung als „Tierabwehrspray“
  • Zwille mit Armstütze
  • Teleskopschlagstock
  • Schreckschusspistole

klassische Beispiele für oft als „Schutzbewaffnung“ gewertete Dinge:

  • Helme
  • Protektoren (von Zahnschutz bis Zeitung unter den Klamotten)
  • Gasmasken

klassische Beispiele für oft als „gefährliche Gegenstände“ bewertete Dinge:

  • Taschenmesser
  • Tierabwehrspray
  • Der Phantasie der Cops sind hier scheinbar nahezu keine Grenzen gesetzt

Hier gilt es zu beachten, dass gem. § 27 Versammlungsgesetz allein schon das Mitführen von „Waffen oder sonstigen Gegenständen, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder Beschädigungen von Sachen geeignet und bestimmt sind“ unter Strafe gestellt ist. Außerdem argumentieren die Cops und die Staatsanwaltschaft mit dem allgemeinen Versammlungsgebot „friedlich und ohne Waffen“ aus Art. 8 des Grundgesetzes. Deshalb werden in der Praxis oft Menschen wegen mitgeführten Taschenmessern etc. verfolgt und verurteilt. Diese Praxis ist jedoch grundsätzlich falsch, da die verwendete Argumentation zu kurz greift

Für die Bewertung, ob Gegenstände verboten sind oder nicht, muss der Alltag das Maß der Dinge sein. Das bedeutet, dass alles, was mensch üblicherweise mit sich trägt/tragen darf, nicht mit einer Strafe wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz überzogen werden kann. Jede_r bestimmt selbst, warum sie/er Dinge mit sich trägt. Im Einzelfall kommt es darauf an, ob der betreffende Gegenstand „zur Verletzung von Personen oder Beschädigungen von Sachen“ nicht nur geeignet ist (was sicherlich auf viele Dinge zutrifft), sondern eben auch dazu bestimmt ist. In diesem Zusammenhang muss geklärt werden, ob der betreffende Gegenstand „in Verwendungsabsicht“ mitgeführt worden ist.

Vor Ort auf der Demo ist das in der Praxis im Allgemeinen schwierig durchzusetzen, sollte aber dennoch stets versucht werden. Die Cops stellen anhand ihrer „Gefahrenprognose“ in Auflagenbescheiden und Vorkontrollen klar, was ihnen zu gefährlich ist und beschlagnahmen die in ihren Augen nicht zulässigen Gegenstände, was oftmals mit einer Strafanzeige einhergeht. Ob sie dabei nach dem Gesetz richtig gehandelt haben oder nicht, lässt sich meistens erst in der folgenden Gerichtsverhandlung möglichst mit anwaltlichem Beistand klären.

Dabei ist wesentlich, wie die betreffenden Gegenstände bestimmungsgemäß zu verwenden sind.

Einige Beispiele zur Verdeutlichung:

Ein Angeklagter sollte mittels Strafbefehl verurteilt werden, weil er sich mit Stahlkappenschuhen „bewaffnet“ auf dem Wege zu einer Demonstration befunden haben soll. Im Rahmen einer Vorkontrolle wurde der „Täter“ gestellt und später der zuständigen Richterin zugeführt, die die Auffassung vertrat der stahlkappenschuhtragende Demonstrant sei ebenso gefährlich wie der schlagstockschwingende. Erst das persönliche Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung hat die Richterin zur Überzeugung gebracht, dass dieser „Straftäter“ nicht die Absicht hatte, seine „Waffen“ gegen die Polizei einzusetzen und sprach ihn dann auch frei.

Im Rahmen von Streiks oder DGB-Veranstaltungen werden im Fernsehen oft Demonstrant_innen gezeigt, die allesamt „schutzbewaffnet“ bis an die Zähne sind: Mit Helmen auf dem Kopf stehen sie mitten in einer Versammlung. Kein Cop noch Staatsanwaltschaft, der die „Straftäter“ namhaft macht und schon gar kein Gericht, das sie aburteilt. Offenbar ist hier den Cops (wenn auch vielleicht nur aus dem Bauch heraus) klar, dass die „Verwendungsabsicht“ der Helme nicht als Schutzbewaffnung bewertet werden kann. Bei Antifas, die mit dem Motorrad anreisen, vertreten sie gewöhnlich eine gegenteilige Ansicht.

Das beschlagnahmte Taschenmesser sollte nach der Demo zurückverlangt werden, weil du dich anderenfalls gezwungen sieht, ein neues auf Staatskosten kaufen zu müssen. Wenn die Beschlagnahme aufrecht erhalten bleibt, kannst du ein waffenrechtliches Gutachten beantragen, zum Beweis dass das Messer nach seiner Bauart nicht zum Einsatz als Verletzungsmittel bestimmt ist.

Problematischer ist das bei Pfeffersprays: Wenn auf der Dose nicht ausdrücklich der Vermerk „Tierabwehrspray“ steht, fällt das Spray unter das Waffengesetz. Allein das Mitführen steht damit auch außerhalb von Demos unter Strafe. Aber auch bei „Tierabwehrspray“ kommt mensch in Erklärungszwänge, warum dieses üblicherweise individuell mitgeführt wird.

Auch das Mitführen von kleinen Fahnen wird häufig als Verstoß gegen das Versammlungsgesetz verfolgt, da die Fahnenstöcke auch gegen Menschen eingesetzt werden könnten. Hier gilt es darauf zu beharren, dass Kundgebungsmittel zu Demonstrationen zugelassen werden müssen

Das Mitführen eines Zahnschutzes als „Schutzwaffe“ ist bei einer Hobbyboxer_in o.ä. mit Kauschutz vom letzten Training in der Tasche einer Richter_in gut erklärbar. Schlechtere Karten haben Antifas, die vorsichtshalber immer einen Zahnschutz dabei haben, weil sie jemanden kennen oder von jemanden gehört haben, die ihre Zahnleiste einem Schlagstockeinsatz der Polizei geopfert haben: Allein die Mutmaßung, in solch gefährliche Situationen überhaupt kommen zu können, kann je nach Richter_in zu einer „Gesinnungsverurteilung“ führen. Beim Mitführen des Zahnschutzes zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit vor Angriffen von Nazis stellt sich dies – je nach Gericht – ggf. anders dar.

Im Zusammenhang mit Vermummung gegen Nazis haben beispielsweise einzelne Gerichte entschieden, dass gegen Fotograf_innen der rechten Szene ein berechtigtes Interesse am Schutz des eigenen Bildes besteht, weshalb die Vermummung legitimes Mittel zur Abwehr solcher Angriffe darstellt und auch schon zum Freispruch geführt hat. In Leipzig allerdings wird Vermummung auf Versammlungen z.Z. stets verfolgt – egal ob gegen Nazis oder Cops. So wurden sogar Menschen mit Ordnungswidrigkeitenverfahren überzogen, weil sie im Herbst mit einem Schlauchschal in der Tasche zur Demo wollten. Gegen einen solchen Bußgeldbescheid sollte unbedingt Einspruch eingelegt werden. Das Prozedere ist das Gleiche wie beim Strafbefehl.

Die Rechtsprechung ist regional völlig verschieden und nicht zuletzt von der jeweiligen Richter_in abhängig. So neigen Jugendrichter_innen eher dazu, Verfahren – meist gegen Arbeitsstunden – einzustellen, während Strafrichter_innen gern auf die Einstellung wegen „geringer Schuld“ nach §§ 153, 153 a StPO oder auf die vereinfachte Form des Strafbefehlsverfahrens zurückgreifen. Das bedeutet, die Richter_in hat bereits die Überzeugung gewonnen, dass es sich zweifellos um eine strafbare Tat handelt, die sanktioniert werden muss. Hier sollte dringend Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt werden.

Außerdem gilt es zu beachten, dass bei Demos immer ein höheres Risiko besteht, von den Cops festgehalten zu werden. Dann sieht mensch sich häufig einer – nicht unbedingt zutreffenden – Beschuldigung wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte oder Landfriedensbruch ausgesetzt. „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ gehört mittlerweile bei fast jeder Festnahme zum Repertoire, da Zappeln im Polizeigriff und das „Nichtfügen in die polizeiliche Maßnahme“ von den Cops gerne als Widerstandshandlung bewertet und angezeigt wird. Wenn sich dann noch bei „Tatbegehung“ gefährliche Dinge in mitgeführten Taschen befunden haben, drohen wesentlich empfindlichere Strafen: Im Allgemeinen verschärfen die gesetzlichen Regelungen die Strafe für ohnehin verbotene Delikte und knüpfen hierbei an die erhöhte Gefährlichkeit einer Tatbegehung mit Waffen und sog. gefährlichen Gegenständen an. So ist – wenn mensch denn eine „Waffe“ bei sich führt – Mindeststrafe für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch eine sechsmonatige Freiheitsstrafe, die im besten Fall zur Bewährung ausgesetzt wird. Gleiches gilt für die sog. gefährlichen Werkzeuge, wenn sie in „Verwendungsabsicht“ mitgenommen werden. „Unbewaffnet“ kommt mensch dagegen auch mal mit einer Geldstrafe davon.

Nicht vergessen: Lediglich bei einem Freispruch oder einer Einstellung im Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO gibt es in der Regel einen Anspruch auf die Löschung aller gewonnenen Daten aus dem Verfahren. Die Datenlöschung muss beantragt und beschieden werden. Wenn du die Mitteilung erhälst, dass die Daten gelöscht wurden, dürfen diese niemals und nirgendwo mehr auftauchen…