§129 StGB

Ermittlungsverfahren gegen angeblich kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB) bzw. angeblich terroristische Vereinigungen (§§ 129a/b StGB) werden immer wieder angestrengt, um politische Zusammenhänge auszuspionieren, Strukturen zu lähmen und Sympathisant*innen abzuschrecken. Wie auch du zum Mitglied einer „kriminellen“ Vereinigung werden kannst, welche Ermittlungsmethoden von staatlicher Seite aufgefahren werden und in der Vergangenheit eingesetzt wurden, erfährst du in der aktuellen Ausgabe von „Wege durch die Wüste“ (überarbeitete Neuauflage 2016) – erhältlich in deiner Buchhandlung des Vertrauens.

In Dresden gab es von 2009 bis 2014 ein aufwendig geführtes Ermittlungsverfahren gegen zwischenzeitlich 42 Personen. Ihnen wurde vorgeworfen Straftaten rund um den Naziaufmarsch zum 13. Februar begangen und organisiert zu haben. Die Verfahren wurden sämtlich eingestellt. Zu diesen Verfahren findet ihr Infos auf der Seite von Sachsens Demokratie (nur noch erreichbar über archive.org). Lesenswert sind die beiden folgenden Broschüren: 

 

Broschüre zu §§ 129 (a) Verfahren gegen RAZ, mg und Antifas (2000-2014)

Broschüre zum §§129 Verfahren in Dresden (2009-2017)

Zahlreiche andere Verfahren nach den §§ 129 a/b wurden und werden gegen die radikale Linke in den letzten Jahren geführt. Besonders häufig trifft es kurdische und türkische Linke, die wegen der Weiterführung in der Türkei verbotener Parteien von der BRD verfolgt werden. Mehr zur Repression gegen die PKK findet ihr in der Broschüre zu 25 Jahren Verbot und auf der Seite des Rechtshilfefonds Azadi eV. Aber auch die deutsche Linke kriegt regelmäßig ihr Fett weg. Zwar gibt es keine RAF oder andere Stadtguerillagruppen mehr, für die die Paragrafen maßgeblich entworfen wurden, doch die Repressionsbehörden haben sich eben neue Spielfelder erschlossen. Dazu auch hier wieder ein wenig Material. 

Broschüre der Roten Hilfe zu §§ 129 a/b Verfahren (2009)

Broschüre der Roten Hilfe Leipzig zu § 129 Verhfaren gegen Antifas (2013-2017)

In allen Broschüren fehlt leider bisher die Strafrechtsverschärfung von 2017. Dazu hier ein kurzer Text von uns.

Das 54. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches

Das Jahr 2017 wurde von besonders vielen Verschärfungen des Strafrechts geprägt. Kurz vor dem Gipfel der 20 in Hamburg wurden zahlreiche Straftatbestände verschärft oder neu eingeführt, etwa der als „Bullen schubsen“ Paragraf bekannt gewordene § 114 StGB. Auch der §§ 129a/b wurde 2017 verschärft. Die Bundesregierung setzte mit dieser Verschärfung einen Beschluss des Europarates um, der darauf abzielt die Verfolgung krimineller Vereinigungen zu vereinheitlichen. Aus dem Beschluss des Rates geht eine Konzentration auf Gruppen der Organisierten Kriminalität hervor, die sich in der deutschen Umsetzung nicht widerspiegelt. In der BRD bleiben die §§ 129 StGB ein zentraler Bestandteil der politischen Justiz.

In den § 129 StGB wurde ein Passus eingefügt, welcher bisherige Merkmale krimineller Vereinigungen außer Kraft setzt. Vereinigungen waren bisher durch vier Merkmale gekennzeichnet. Sie war ein auf Dauer angelegter (1) personeller Zusammenschluss (2), dessen Zielstellung sich der*die Einzelne unterordnete und so ein gemeinsames Verständnis als Gruppe (3) mit einem Mindestmaß an gemeinsamer Organisation (4), bspw verbindlichen Regeln über die Willensbildung bestand. Die Punkte (3) und (4) wurden durch die Neufassung gestrichen. Sie lautet:

»Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.«

Diese Neudefinition des Begriffs „Vereinigung“ wurde ebenso auf den § 129a angewendet.

Außerdem wurde im § 129 ein Passus eingefügt, der die Taten neu regelt, deren Planung das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung begründet. Bisher und auch in der Entscheidung des Europarates sollten Bagatelldelikte und ihre planmäßige Ausführung in Gruppen kein Anlass für Ermittlungen nach den §§ 129 a/b bilden. Der „neue“ § 129 darf nun jedoch angewendet werden, wenn Straftaten geplant oder ausgeführt wurden, »die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind«. Im Gegensatz zur Definition der terroristischen Vereinigung im § 129a gibt es für die kleine kriminelle Schwester keinerlei Straftatenkatalog, im Gegenteil ist der § 129 fortan universell einsetzbar.

Letztlich bedeutet diese Veränderung des Strafgesetzbuches, dass alleine die Idee einer Gruppe zur Begehung eines Bagatelldelikts, etwa einer Sachbeschädigung mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden kann.

Aktuell laufen zahlreiche § 129 Ermittlungen. In Frankfurt am Main gibt es ein Verfahren gegen eine Person sowie mehrere unbekannte nach § 129a. Die Soligruppe hat gerade (2022) eine Broschüre in deutsch und griechisch veröffentlicht. In Dresden wird das Antifa Ost Verfahren am Oberlandesgericht verhandelt. In dem Zwischenstandsbericht des Solidaritätsbündnisses findet ihr die Erkenntnisse zu den Ermittlungsmethoden der Bullen versammelt.

Auswertungen älterer Verfahren, zum Beispiel rund um den G8 in Heiligendamm von 2007 findet ihr hier:

Broschüre: Aussageverweigerung und Beugehaft

Broschüre: Ein Blick zurück nach vorn – zum Prozess gegen Sonja & Christian, der Geschichte der RZ/Rote Zora

Auswertung: ...der Akten „militante Kampagne gegen den G8“